Eindrücke eines Ehemaligen
Details
Yanick Hasler war vom 13. Mai bis zum 8. September 2017 Zivildienstleistender in unserer Pfarrei. In einem unterhaltsamen Bericht beschreibt er, wie er seine Arbeit erlebt hat und welche Erfahrungen er gemacht hat.
Sehr geehrte Leserin, sehr geehrter Leser
Vielleicht sind wir uns schon begegnet. Vielleicht haben Sie schon von mir gehört. Vielleicht bin ich aber auch ein völlig Fremder für Sie. Vom 13. Mai bis zum 8. September war ich Zivildienstleistender in der Pfarrei Liestal.
Ich erwartete konkret zwei Dinge von meinem Einsatz: Viele neue Leute kennenzulernen und bei vielen abwechslungsreichen Tätigkeiten mitzuhelfen. Beide Erwartungen wurden zu 100% erfüllt, doch im Nachhinein muss ich sagen: Die persönlichen Erfahrungen und Gedanken, die ich mir während meines Zivi-Einsatzes gemacht habe, sind das was bleiben werden.
Beeindruckt hat mich zum Beispiel „Tischlein deck dich“. Das ist die Lebensmittelabgabe für Armutsbetroffene. Als Helfer sieht man lediglich Unmengen von Essen vor sich liegen. Wir zählten die Waren durch und rechneten aus, wie viel jeder Bezüger und jede Bezügerin erhält. Der Akt des Verteilens läuft dann aber von Person zu Person unterschiedlich ab. Einige nehmen so viel sie können, andere bedienen sich hingegen nur bei den Früchten und bei den Süssgetränken. Neulich fragte mich eine Mutter, ob sie nicht doch zwei Muffins statt einem haben könne, denn sie habe ja zwei Kinder. Ist es jetzt fairer, allen Familien/Einzelpersonen gleich viel zu geben? Soll man es auf die Familienmitglieder abgleichen? Ist es besser, wenn die Kinder je einen Muffin essen? Soll die Mutter ihn heimlich selbst essen? Man macht sich dann eben so seine Gedanken...
Eine weitere prägende Erfahrung war das „Verseni“-Projekt und die Vorreise zum 20-jährigen Jubiläum. Auf der einen Seite hatte ich Vorurteile und Vorstellungen, die man als Schweizer gegenüber Rumänien und seiner Bevölkerung hegt, auf der anderen Seite dann eine überraschende Realität:
Unsere Gruppe traf auf touristische Städte, die in Sachen Sauberkeit und Lebensmittelpreise einer italienischen Stadt in nichts nachstehen. Wir kamen in Dörfer, in denen mehr als die Hälfte der Bevölkerung Selbstversorger sind und begegneten äusserst weltoffene und freundliche Menschen. Und wir fühlten uns stets sicher.
Das Projekt sah vor, sich in einem ebensolchen Dörfchen niederzulassen und eine Woche lang mit den Kindern eines Kinderheimes ein Sommerferien-Programm durchzuführen. Als ich am Abend des Ankommens eine Runde durchs Dorf joggte, traf ich bereits auf den einen oder anderen neugierigen Einwohner, der sich fragte, was die Schweizer denn dieses Jahr wieder Spannendes vorhatten. An einer Ecke stolperte ich beinahe über eine Mutter mit Kind, welches mir sogleich voller Euphorie hinterherrannte. Auch Kühe und Pferde trifft man vereinzelt an – sei es in der Pampa zwischen den Sonnenblumenfeldern oder auch auf den Strassen.
Doch zurück zu den Heimkindern: Sie stellen zwar die unterste Gesellschaftsschicht dar, doch kommen die „reichen Schweizer“ zu ihnen und kümmern sich um sie. Diese Woche im Jahr geben wir ihnen das Gefühl, wichtig zu sein. Doch das hat auch Auswirkungen auf die anderen Dorfkinder: Diese haben zwar mehr Geld, Freiheiten und Zuneigung das ganze Jahr über, doch die Woche mit den Schweizern ist den Heimkindern vorbehalten. Ab dem dritten Tag schauten uns neugierige und vielleicht auch etwas neidische Kinderköpfe über die Gartenzäune zu. Sie werden dann am Donnerstag vor der Abreise zur gemeinsamen Disco eingeladen.
Auch vom Kirchenalltag kann sich der Zivi eine Scheibe fürs richtige Leben abschneiden: In der Krabbelgruppe konnte ich zum Beispiel verschiedene Strategien ausprobieren, um die Kinder möglichst lange glücklich zu beschäftigen. Ich hab sie auch versucht zu überreden, ihr Znüni aufzuessen oder ihnen erklärt, dass es manchmal auch ein bisschen Geduld braucht mit einem Spielzeug oder seinen Gspänli.
Jeweils am Mittwochabend im Deutschkurs für Flüchtlinge erhielt ich Einblicke in ganz andere Menschengeschichten. Ich betreute unter anderem einen Afghanen, der sich für eine Vorpraktikumsstelle bewerben konnte. Ganz klar, es sind nur Bekanntschaften auf Zeit und die ganze Wahrheit wird man nicht erfahren. Aber es waren bereichernde Momente, die jeweils mit einem ungezwungenen, gemeinsamen Nachtessen endeten.
Der Mittagstisch entschleunigte meinen Alltag auch ein wenig und eine kleine Welle „Pensionär-Feeling“ schwappte auch auf mich über. Beim Abwaschen der unzähligen Kaffeetassen kann man sich dann ebensolche Gedanken machen, die ich gerne mit Ihnen teilte.
-Yanick Hasler
Sehr geehrte Leserin, sehr geehrter Leser
Vielleicht sind wir uns schon begegnet. Vielleicht haben Sie schon von mir gehört. Vielleicht bin ich aber auch ein völlig Fremder für Sie. Vom 13. Mai bis zum 8. September war ich Zivildienstleistender in der Pfarrei Liestal.
Ich erwartete konkret zwei Dinge von meinem Einsatz: Viele neue Leute kennenzulernen und bei vielen abwechslungsreichen Tätigkeiten mitzuhelfen. Beide Erwartungen wurden zu 100% erfüllt, doch im Nachhinein muss ich sagen: Die persönlichen Erfahrungen und Gedanken, die ich mir während meines Zivi-Einsatzes gemacht habe, sind das was bleiben werden.
Beeindruckt hat mich zum Beispiel „Tischlein deck dich“. Das ist die Lebensmittelabgabe für Armutsbetroffene. Als Helfer sieht man lediglich Unmengen von Essen vor sich liegen. Wir zählten die Waren durch und rechneten aus, wie viel jeder Bezüger und jede Bezügerin erhält. Der Akt des Verteilens läuft dann aber von Person zu Person unterschiedlich ab. Einige nehmen so viel sie können, andere bedienen sich hingegen nur bei den Früchten und bei den Süssgetränken. Neulich fragte mich eine Mutter, ob sie nicht doch zwei Muffins statt einem haben könne, denn sie habe ja zwei Kinder. Ist es jetzt fairer, allen Familien/Einzelpersonen gleich viel zu geben? Soll man es auf die Familienmitglieder abgleichen? Ist es besser, wenn die Kinder je einen Muffin essen? Soll die Mutter ihn heimlich selbst essen? Man macht sich dann eben so seine Gedanken...
Eine weitere prägende Erfahrung war das „Verseni“-Projekt und die Vorreise zum 20-jährigen Jubiläum. Auf der einen Seite hatte ich Vorurteile und Vorstellungen, die man als Schweizer gegenüber Rumänien und seiner Bevölkerung hegt, auf der anderen Seite dann eine überraschende Realität:
Unsere Gruppe traf auf touristische Städte, die in Sachen Sauberkeit und Lebensmittelpreise einer italienischen Stadt in nichts nachstehen. Wir kamen in Dörfer, in denen mehr als die Hälfte der Bevölkerung Selbstversorger sind und begegneten äusserst weltoffene und freundliche Menschen. Und wir fühlten uns stets sicher.
Das Projekt sah vor, sich in einem ebensolchen Dörfchen niederzulassen und eine Woche lang mit den Kindern eines Kinderheimes ein Sommerferien-Programm durchzuführen. Als ich am Abend des Ankommens eine Runde durchs Dorf joggte, traf ich bereits auf den einen oder anderen neugierigen Einwohner, der sich fragte, was die Schweizer denn dieses Jahr wieder Spannendes vorhatten. An einer Ecke stolperte ich beinahe über eine Mutter mit Kind, welches mir sogleich voller Euphorie hinterherrannte. Auch Kühe und Pferde trifft man vereinzelt an – sei es in der Pampa zwischen den Sonnenblumenfeldern oder auch auf den Strassen.
Doch zurück zu den Heimkindern: Sie stellen zwar die unterste Gesellschaftsschicht dar, doch kommen die „reichen Schweizer“ zu ihnen und kümmern sich um sie. Diese Woche im Jahr geben wir ihnen das Gefühl, wichtig zu sein. Doch das hat auch Auswirkungen auf die anderen Dorfkinder: Diese haben zwar mehr Geld, Freiheiten und Zuneigung das ganze Jahr über, doch die Woche mit den Schweizern ist den Heimkindern vorbehalten. Ab dem dritten Tag schauten uns neugierige und vielleicht auch etwas neidische Kinderköpfe über die Gartenzäune zu. Sie werden dann am Donnerstag vor der Abreise zur gemeinsamen Disco eingeladen.
Auch vom Kirchenalltag kann sich der Zivi eine Scheibe fürs richtige Leben abschneiden: In der Krabbelgruppe konnte ich zum Beispiel verschiedene Strategien ausprobieren, um die Kinder möglichst lange glücklich zu beschäftigen. Ich hab sie auch versucht zu überreden, ihr Znüni aufzuessen oder ihnen erklärt, dass es manchmal auch ein bisschen Geduld braucht mit einem Spielzeug oder seinen Gspänli.
Jeweils am Mittwochabend im Deutschkurs für Flüchtlinge erhielt ich Einblicke in ganz andere Menschengeschichten. Ich betreute unter anderem einen Afghanen, der sich für eine Vorpraktikumsstelle bewerben konnte. Ganz klar, es sind nur Bekanntschaften auf Zeit und die ganze Wahrheit wird man nicht erfahren. Aber es waren bereichernde Momente, die jeweils mit einem ungezwungenen, gemeinsamen Nachtessen endeten.
Der Mittagstisch entschleunigte meinen Alltag auch ein wenig und eine kleine Welle „Pensionär-Feeling“ schwappte auch auf mich über. Beim Abwaschen der unzähligen Kaffeetassen kann man sich dann ebensolche Gedanken machen, die ich gerne mit Ihnen teilte.
-Yanick Hasler