Kritisiert wird die Macht, nicht die Liebe
Der Leiter des Bereichs "Spiritualität" der Fachstelle katholisch bl.bs Peter Zürn hat sich mit einem klärenden und hilfreichen Artikel geäussert zur unseligen Diskussion rund um die Äusserungen von Bischof Vitus Huonder zum Thema Homosexualität.
Homosexualität in der Bibel: Kritisiert wird die Macht, nicht die Liebe
Im Zuge der völlig berechtigten Kritik an den homophoben Aussagen von Bischof Huonder ist die Frage relevant, wie die Bibel heute gelesen werden kann. Vorneweg: Es lohnt sich genauer hinzuschauen, gerade auf die schwierigen Texte.
Die Liebe von David und Jonatan
Grundsätzlich: Die Bibel ist eine Sammlung von literarischen Texten, entstanden über hunderte Jahre. Man kann nicht einfach unbesehen darauf schliessen, dass ein Satz irgendwann und irgendwo auch geltendes Gesetz war. Die Bibel ist nicht aus einem Guss, sie ist eine Sammlung verschiedener Meinungen, auch extremer, und sie ist Austragungsort von Kontroversen.
Und in dieser Bibel gibt es (neben schwärmerischen Gedichten über Sex) auch die Geschichte von David und Jonatan – so unverhohlen wie unproblematisch berichtet das Buch Samuel von ihrer erotischen Liebe zueinander.
In der Bibel jedenfalls stehen also ganz unterschiedliche Haltungen nebeneinander und sich gegenüber. Es ist festzuhalten, dass Bischof Huonder mit der Bibel theologisch unverantwortlich umgeht.
Homosexualität ist Randthema
Und: Homosexualität ist kein wichtiges Thema in der Bibel. Im grossen Widerspruch dazu fokussiert sich Bischof Huonder in seinen öffentlichen Wortmeldungen praktisch ausschliesslich auf sexuelle Themen. Den drei bis vier immer wieder zitierten Stellen, in denen von Homosexualität die Rede ist, stehen hunderte von Stellen gegenüber, die sich mit Schuldenerlass, Landverteilung und anderen Fragen der sozialen Gerechtigkeit beschäftigen. Widerstand gegen die ungerechte Verteilung von Vermögen oder die Unterwerfung von Menschen unter Kapitalinteressen: Das interessiert die biblischen Bücher viel mehr als Widerstand gegen bestimmte Formen von Sexualität. Das Buch Levitikus selber unterstreicht übrigens diese Priorisierung.
Es geht um Macht, nicht um Homo-Erotik
Die Stellen im Buch Levitikus, in denen Sexualität vorkommt, haben etwas gemeinsam: Es geht um Sex zwischen einem Mächtigen und Menschen, die von ihm abhängig sind. Das sind vor allem Frauen, aber eben nicht nur. Alle sollen geschützt werden. Es geht also gar nicht um Sexualität, es geht um Machtmissbrauch und Gewalt. Es geht um den Schutz vor sexueller Ausbeutung. Die Liebe zwischen gleichberechtigten Menschen ist nicht im Blick im Buch Levitikus. Es interessiert sich nicht besonders für die partnerschaftliche Liebe von Männern und Frauen. Es interessiert sich für Beziehungen, in denen Macht missbraucht wird.
Ins Heute übertragen hat das Buch Levitikus also Priester im Blick, die sich an Ministranten und Therapeuten, die sich an Klientinnen vergehen, Männer und Frauen, die Kinder missbrauchen oder „Sugar Mamas“ mit ihren „Toy Boys“.
In einem biblischen Workshop wurde der von Bischof Huonder zitierte Satz übrigens ganz anders gelesen: "Du sollst bei einem Mann nicht wie bei einer Frau liegen" ist eine gute Weisung für eine vielfältige und achtsame Sexualität.
Peter Zürn